Psychologie

Im Onlineshop der Liebe

Liebe wie Partnerschaft, Beziehung, große Liebe. In einer Gesellschaft der Singles wird die Suche nach der wahren Liebe zur Gralssuche, die wundersame Erfüllung und Lebenssinn verspricht. Onlinerecherche ist ein alltägliches und unschätzbar wertvolles Werkzeug geworden. Warum nicht gleich die optimale Partnerschaft online bestellen mit bestem Matching-Ergebnis, den gleichen Hobbys und derselben Schlafzimmertemperaturpräferenz? Viele Anbieter offerieren die perfekte Verbindung für anspruchsvolle Akademiker und Menschen mit Niveau. Die Werbung gibt sich optimistisch, der umfangreiche Persönlichkeitstest ist angeblich psychologisch ausgereift und die Versprechungen wirken grotesk überhöht. Aber sie scheinen genau die Sehnsüchte Vieler exakt zu treffen, denn der Mythos der romantischen Liebe ist in unser aller Köpfen fest verankerter Bestandteil unserer Sozialisation. Ein dermaßen idealisiertes Ziel kann nur zu Enttäuschungen führen, denn wer soll da bitte heranreichen? Unsere romantischen Fantasien werden gespeist aus Filmen wie Casablanca, Titanic und P.S. Ich liebe dich. Was fehlt? Ich glaube häufig eine Übereinstimmung zwischen Fiktion und Realität. Beziehungen sollen wie gute kitschige Liebesfilme funktionieren. Eine idealtypische Darstellung der romantischen Liebe zwischen Mann und Frau: Zwei Menschen, die perfekt füreinander geschaffen sind. Nichts und niemand würde dies in Zweifel ziehen, weder Viktor Lázló noch der Zuschauer. Wer möchte sich nicht mit den Helden dieser Filme identifizieren? Die ultimative Zweierbande ohne Krisen, tiefe Missverständnisse oder den alltäglichen Streit um den Hausmüll und unterschiedliche Definitionen von Reinlichkeit. Eine E-Mail oder sms mit dem Inhalt „Ich liebe dich.“ wird extrem mit Bedeutung aufgeladen und signalisiert eine tiefe machtvolle Verbundenheit, während der reale Kontakt mit stinkender Wäsche und Haaren im Waschbecken keinen Platz für Fantasien lässt. Die Spaltung zwischen leidenschaftlicher Sehnsucht und den ernüchternden Szenen von beobachtbarer destruktiver Paarinteraktion jeden Samstag im Ikea lässt dennoch kaum Zweifel an der Suche nach dem anscheinend unerreichbaren Gral aufkommen. Denn online ist das Angebot riesig und ich darf dort weiter träumen und meinen Sehnsüchten Raum geben.

Vielleicht ist das auch alles gut so. Wir Menschen brauchen unsere Hoffnung. Ich weiß nur nicht, ob es nicht sinnvoller ist, mitunter die Augen zu öffnen, um die zwischenmenschlichen Wunder um uns herum wahrzunehmen, ob nun virtuell oder real.

Oder im Ikea am Samstag.

 

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... ich arbeite mit Klient*innen, Paaren und Gruppen, ich gebe Seminare und Workshops. Anfragen gerne per E-Mail an kontakt [ät] bameier.de