Psychologie

German Angst

oder wie ich Angst bewältige

Es gibt eine Formulierung die im englischsprachigen Raum mittlerweile ähnlich bekannt ist wie Bratwurst, Kindergarten, Zeitgeist oder Rucksack, es handelt sich dabei um das Wort Angst, oft mit dem englischen Anhängsel German Angst. Ursprünglich ging es um das bedenkenvolle Zögern der Deutschen in politischen und finanziellen Angelegenheiten. Es gilt als Beschreibung einer im Vergleich zu anderen Ländern herausstechenden typisch deutschen Eigenschaft, einer generalisierten Ängstlichkeit, die zu zögerlich vorsichtigem Handeln führt. Eine Vorsicht, die von außen häufig als übertrieben oder unbegründet erlebt wird. Das aktuellste Beispiel, das mir dazu einfällt ist die Reaktion der pro Kernkraft Regierung Merkel nach Fukushima. Als weltweit einziges Land passierte eine schnelle 180-Grad-Wende in Richtung Atomausstieg in Deutschland. So schnell, dass die gesamte deutsche politische Opposition ungläubig und zunächst „vorsichtig-misstrauisch“ auf die Aussagen der Kanzlerin reagierte. Was war die Motivation einer so radikalen Abkehr von einer lange propagierten Energiepolitik? Es gab keine weltbewegenden neuen Erkenntnisse über die Sicherheit und das Risiko von Kernkraftwerken. Es gab auf der anderen Seite der Weltkugel ein unbeschreiblich schlimmes Unglück, das schrecklich, beängstigend und grausam in seinen Auswirkungen war, ist und noch lange bleiben wird. War der Atomausstieg eine emotionale Entscheidung? War dies German Angst?

Deutschland hat eine bewegte Geschichte mit zwei verheerenden und verlorenen Weltkriegen innerhalb eines Jahrhunderts. Nicht wenige Wissenschaftler aus unterschiedlichen akademischen Disziplinen sehen hier einen Grund für die deutsche Angst. Ergebnisse aus der naturwissenschaftlichen Forschung zumeist an Tieren zeigen, dass sich Angst vermutlich epigenetisch vererben lässt. Dies könnte eines von verschiedenen Indizien sein die darauf hindeuten, dass das deutsche Volk nach den Kriegen nicht nur schwer traumatisiert war, sondern nachfolgenden Generationen vielleicht irgendwie eine Disposition zum Ängstlich sein vererbt hat. Aus psychologischer Sicht gibt es zudem den Ansatz des transgenerationalen Traumas. Traumata der Kriegsgeneration wurden nicht aufgearbeitet oder psychotherapeutisch behandelt. Sie wurden verschwiegen, waren Privatsache. So kam es, dass ganze Nachkriegsgenerationen von traumatisierten Menschen aufgezogen wurden. Auch ohne Epigenetik lässt sich vermuten, dass dies einen vehementen Einfluss auf die emotionale Entwicklung des Kindes hatte. Somit verschwindet das Problem der Traumatisierung nicht mit dem Tod der Kriegsgeneration, sondern wirkt auf unterschiedliche Weise über mehrere Generationen weiter.

Die Angst oder die akute Furcht vor etwas ist nicht unser Feind. Wir brauchen sie nicht zu vermeiden, uns darüber Sorgen zu machen, uns machtlos zu fühlen oder sie los zu werden. Leider ist es aber genau das was Menschen wollen, die zu mir kommen. Die Angst los werden. Angst ist sehr wertvoll. Sie beschützt uns, hilft uns zu überleben und sorgt auch dafür, dass wir uns lebendig fühlen. Es geht in einer Verhaltenstherapie darum zu lernen, wie ich meine Angst und Furcht regulieren kann.

Übermäßige Angst kann zur psychischen Störung werden. Menschen mit behandlungswürdigen Ängsten gehen aber oft erst nach vielen Jahren des Leids zu einer Therapie. Langfristig können Ängste das Leben dermaßen beeinträchtigen, dass die Alltagsbewältigung aufgrund von starkem Vermeiden nicht mehr möglich ist und häufig treten sekundäre Depressionen auf.

Zum Spektrum der Ängste zählen unterschiedliche Phänomene. Man unterscheidet Generalisierte Ängste mit dem sich beständig Sorgen machen, Angst vor dem Unvorhersehbaren und dem ständigen Gefühl der drohenden Katastrophe. Die Ängste können auch die eigene Person betreffen und bestehen aus einem tiefgreifenden Gefühl der Selbstunsicherheit und Unzulänglichkeit, was zu ständigen Selbstzweifeln und einer generellen Hemmung führt. Menschen, die sich selbst für schwach und ängstlich halten, führen oft ein Leben in der Warteschleife, weil sie sich nicht trauen, wichtige Entscheidungen zu treffen. Letztlich gibt es auch sehr konkrete Ängste, die Phobien. Angst vor Höhe, Menschenmengen, Spinnen oder dem Fliegen, die das Alltagsleben beeinträchtigen können.

dannyforster

Wie geht man mit Ängsten um? Der us-amerikanische Autor Taylor Clark beschreibt in seinem Buch (Nerve: Poise under pressure, serenity under stress, and the brave new science of fear and cool. 2011) die Geschichte von Danny Forster, einem Architekten, der als Fernsehmoderator für die Architektursendung Build It Bigger angeworben wurde. Das Problem war, dass Danny Forster erst nach Einstellung davon erfuhr, dass er als Moderator auch sämtlichen Wolkenkratzerbaustellen die er beschreiben sollte persönlich einen Besuch abstatten musste.

Danny Forster hatte die Wahl. Entweder kündigte er oder konfrontierte sich mit seiner Angst. Hinzu kam, man sah ihm die Angst an, er konnte sie vor der Kamera nicht verbergen. Schließlich passierte etwas Unerwartetes. Seine Höhenangst wurde zu seinem Markenzeichen und sorgte für eine Aufwertung der Sendung. Er nutzte lange Zeit seinen Kameramann als Sicherheitssignal. Wenn er ruhig war, fühlte er sich auch sicher. Leider wurde dem Kameramann bei der Shanghai-Episode selber übel, so konnte Danny Forster auch seinen Kameramann nicht mehr zur Selbstberuhigung einsetzen. Er merkte mit der Zeit aber, dass seine Höhenangst immer weniger wurde. Er lernte es, seine Angst zu beobachten und sich davon nicht mehr mitreißen zu lassen. Er beschreibt, dass er sogar anfängt Höhe ein wenig zu mögen.

Angstnichtgefaehrlich

Metabotschaften wie „Angst ist gefährlich“ und „Gedanken sind die Wahrheit“ bestimmen, wie stark ich auf Furcht oder negative Gedanken reagiere. Wenn meine Aufmerksamkeit sehr sensitiv auf Angst reagiert, muss ich meiner Aufmerksamkeit beibringen, dass das übertrieben und unnötig ist.

Wenn ich eine andere Art über meine Gedanken zu denken lerne, habe ich die Wahl, ob ich meinen Angstkognitionen Raum gebe und mich fürchte oder ob ich ich bewusst einen anderen Umgang mit meinen Angstgedanken wähle. Ich verändere also in erster Linie nicht meine Angstgedanken, sondern ich verändere den Umgang mit diesen Gedanken. Diesen neuen Entscheidungsspielraum, der sich aus einer übergeordneten Beobachterposition heraus ergibt, muss ich regelmäßig täglich üben. Wenn mein Angstsystem erst einmal aktiviert ist, lässt es sich nicht so schnell besänftigen.

Grübelnstoppen

Grübeln, d.h. sich beständig Sorgen machen und gedanklich sich in Kreisläufen zu bewegen heißt, die Angst auf Dauer zu verstärken und nicht mehr los zu werden. Grübeln hat nichts mit sich vorbereiten oder Problemlösung zu tun. Grübeln ist nicht zielgerichtet und findet kein Ende. Neurobiologisch kann man das Angstsystem mit angstvollem Grübeln triggern, aber nicht besänftigen. Gedanken an Gefahr haben Angst zur Folge. Perseverierende Grübelkreisläufe können und sollten daher getrost unterbrochen werden.

Es geht auch hierbei nicht um Vermeidung. Wir können nicht nichts denken. Unsere Gedanken fließen in einem ständigen Strom. Und gerade Angstgedanken sind aufgrund ihrer emotionalen Färbung schneller und stärker in unserem Bewusstsein präsent als andere Gedanken. Aber ich kann üben, Grübelgedanken als solche zu markieren und mich bewusst dafür zu entscheiden, nicht auf diesen Gedankenzug aufzuspringen. Auch diese Technik beherrscht man nicht von heute auf morgen, sie bedarf regelmäßiger Übung.

schwaechezustaerke

Man muss nicht zum Superhelden werden, um seine Ängste zu bezwingen. Danny Forster machte aus seiner Höhenangst das Allerbeste. Seine Angst hätte er im Fernsehen nicht überspielen können, es hätte merkwürdig und steif gewirkt. Er machte aus seiner Schwäche sein Markenzeichen und baute seine Höhenangst in die Sendung mit ein. Vielen Menschen, die unter Ängsten leiden ist oft nicht bewusst, dass sie nur sehr merkwürdig wirken, wenn sie krampfhaft versuchen ihre Ängste zu überspielen. Das Zugeben von Schwächen wird von anderen zudem häufig als sympathisch empfunden.

Heute glaubt mir auch kein Mensch mehr, dass ich als junge Frau in einem Ferienflieger eine waschechte Panikattacke hatte. Danach hatte ich einen meiner spannendsten Jobs angenommen, als Luftfahrtpsychologin beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Ich lernte die Fliegerei lieben, flog beruflich viel in Jets, schließlich selber einmotorige Cessnas und fliege heute mit meinem Gleitschirm in den Alpen herum. Mittlerweile ist meine Angst gewichen und nur noch purer Nervenkitzel und Freude übrig.

photo source: OlivierD44, Exemple d’explozoom, copyright cc-by. Bearbeitet.